Beschluss
In der Verwaltungsstreitsache hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 20. Juli 2015
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Neumann und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Hahn und Prof. Dr. Hecker
beschlossen:
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Der Antrag wird abgelehnt.
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Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
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Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5 000 € festgesetzt.
Gründe
I
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Die Antragstellerin verlegt eine Tageszeitung, das ... . Deren Redaktionsleiter bat den Bundesnachrichtendienst um Auskunft darüber, welche Unternehmen mit Sitz in Deutschland und welche deutschen Staatsangehörigen auf der Selektorenliste der NSA gestanden hätten, die dem Bundesnachrichtendienst überreicht worden sei, welche Unternehmen mit Sitz in Deutschland und welche deutschen Staatsangehörigen der Bundesnachrichtendienst von der ihm überreichten Selektorenliste der NSA gestrichen habe, welche Unternehmen mit Sitz in Deutschland und welche deutschen Staatsangehörigen der Bundesnachrichtendienst auf der ihm überreichten Selektorenliste der NSA belassen und abgehört habe.
2
Der Bundesnachrichtendienst lehnte die Beantwortung dieser Fragen ab: Er äußere sich zu operativen Aspekten seiner Arbeit nur gegenüber der Bundesregierung und den geheim tagenden Gremien des Deutschen Bundestages.
3
Die Antragstellerin hat daraufhin beim Bundesverwaltungsgericht beantragt, die Antragsgegnerin durch einstweilige Anordnung zu verpflichten, die erbetene Auskunft zu erteilen: Ihr Anspruch folge aus dem Grundrecht der Pressefreiheit und der Europäischen Menschenrechtskonvention. Überwiegende berechtigte Interessen der Antragsgegnerin stünden der Auskunft nicht entgegen.
4
Die Antragsgegnerin tritt dem Antrag entgegen: Ein Anordnungsanspruch sei nicht glaubhaft gemacht.
II
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Der Antrag ist unbegründet. Die Antragstellerin hat einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 1 und 3 VwGO, § 920 Abs. 2 ZPO). Sie kann nicht verlangen, dass der Bundesnachrichtendienst ihr die begehrte Auskunft erteilt.
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1. Ein Anspruch auf die begehrte Auskunft ergibt sich nicht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG. In Ermangelung einer einfachgesetzlichen Regelung des Bundesgesetzgebers verleiht das Grundrecht der Pressefreiheit der Presse zwar einen verfassungsunmittelbaren Anspruch auf Auskunft gegenüber Bundesbehörden, soweit auf sie die Landespressegesetze wegen einer entgegenstehenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes nicht anwendbar sind, wie dies unter anderem für den Bundesnachrichtendienst zutrifft (BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 - 6 A 2.12 - BVerwGE 146, 56). Aufgrund des verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruchs können Pressevertreter in geeigneter Form behördliche Auskünfte verlangen, soweit berechtigte schutzwürdige Interessen Privater oder öffentlicher Stellen an der Vertraulichkeit von Informationen nicht entgegenstehen (BVerwG, Urteil vom 25. März 2015 - 6 C 12.14 - juris Rn. 24).
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Der begehrten Auskunft stehen aber berechtigte schutzwürdige Interessen des Bundesnachrichtendienstes an der Vertraulichkeit der streitigen Selektorenliste entgegen.
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Welche Interessen an der Vertraulichkeit von Informationen dazu berechtigen, den verfassungsunmittelbaren Anspruch auf Auskunft zu versagen, bestimmt sich in Abhängigkeit von dem Regelungsspielraum, über den der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung behördlicher Auskunftspflichten verfügt. Der verfassungsunmittelbare Auskunftsanspruch der Presse ist durch Vertraulichkeitsinteressen ausgeschlossen, welche der Gesetzgeber für die gegebene Fallgestaltung als Ausschlussgrund normieren dürfte (BVerwG, Urteil vom 25. März 2015 - 6 C 12.14 - juris Rn. 26).
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Es kann offenbleiben, ob der Gesetzgeber, wie die Antragsgegnerin meint, den Bundesnachrichtendienst insgesamt von der Pflicht ausnehmen dürfte, der Presse Auskunft zu erteilen. Der Gesetzgeber ist unter besonderen Umständen berechtigt, jedenfalls einzelne behördliche Funktionsbereiche von Auskunftspflichten auszunehmen (BVerwG, Urteil vom 25. März 2015 - 6 C 12.14 - juris Rn. 30). Derartige besondere Umstände bestehen für operative Vorgänge im Bereich des Bundesnachrichtendienstes, nämlich die Beschaffung und Auswertung von Informationen von außen- und sicherheitspolitischer Bedeutung. Der Gesetzgeber darf deshalb für diesen behördlichen Funktionsbereich Auskünfte an die Presse generell ausschließen, ohne insoweit eine einzelfallbezogene Abwägung mit gegenläufigen Informationsinteressen der Presse vorsehen zu müssen.
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Der Bundesnachrichtendienst hat die Aufgabe, zur Gewinnung von Erkenntnissen über das Ausland, die von außen- und sicherheitspolitischer Bedeutung für die Bundesrepublik Deutschland sind, die erforderlichen Informationen zu sammeln und auszuwerten (§ 1 Abs. 2 Satz 1 BNDG). Derartige Informationen darf der Bundesnachrichtendienst heimlich unter anderem mit nachrichtendienstlichen Mitteln im Sinne des § 8 Abs. 2 BVerfSchG beschaffen (§ 3 BNDG) und muss dies in vielen Fällen tun. Um die ihm gesetzlich zugewiesenen Aufgaben erfüllen zu können, ist der Bundesnachrichtendienst mithin darauf angewiesen, verdeckt zu arbeiten. Müssten Auskünfte über solche Vorgänge erteilt werden, würde die Gewinnung von weiteren Informationen erschwert, wenn nicht verhindert, und wäre damit die Erfüllung der Aufgaben des Bundesnachrichtendienstes gefährdet. Was operative Vorgänge im Bereich des Bundesnachrichtendienstes angeht, würde deshalb bei einer Abwägung im Einzelfall in aller Regel ein Vorrang des Geheimhaltungsbedürfnisses vor dem Informationsinteresse der Presse anzunehmen sein. Deshalb dürfte der Gesetzgeber im Rahmen der ihm zustehenden Befugnis zur Pauschalierung und Typisierung für derartige Vorgänge schon gesetzlich einen generellen ("abwägungsfesten") Ausschluss eines Auskunftsanspruchs normieren (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 25. März 2015 - 6 C 12.14 - juris Rn. 31).
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Zu den operativen Vorgängen im Bereich des Bundesnachrichtendienstes gehören das Ob sowie Art und Umfang der Zusammenarbeit mit ausländischen Nachrichtendiensten. Um außen- und sicherheitspolitisch relevante Erkenntnisse zu gewinnen, ist der Bundesnachrichtendienst in vielen Fällen auf die Zusammenarbeit mit ausländischen Nachrichtendiensten angewiesen, indem in gemeinsamem Zusammenwirken Informationen von beiderseitigem Interesse beschafft werden oder anderweit gewonnene Erkenntnisse ausgetauscht werden. Dabei erfährt der Bundesnachrichtendienst beispielsweise, welches Erkenntnisinteresse der ausländische Nachrichtendienst verfolgt. Die Zusammenarbeit setzt voraus, dass die beteiligten Nachrichtendienste sich wechselseitig darauf verlassen können, dass von ihnen für geheimhaltungsbedürftig angesehene Informationen auch von der anderen Seite geheim gehalten werden. Die künftige Erfüllung der Aufgaben des Bundesnachrichtendienstes kann mithin dadurch beeinträchtigt werden, dass im Falle einer Offenlegung von Informationen die Zusammenarbeit mit Nachrichtendiensten anderer Staaten und damit die künftige eigene Gewinnung von außen- und sicherheitspolitischen Erkenntnissen erschwert würde. Dazu käme es, wenn die Antragsgegnerin Informationen unter Missachtung einer zugesagten oder vorausgesetzten Vertraulichkeit gleichwohl an Dritte bekannt gibt (vgl. auch zu § 99 Abs. 2 VwGO: BVerwG, Beschluss vom 23. November 2011 - 20 F 22.10 - juris Rn. 17 und 19).
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Weil danach operative Vorgänge im Bereich des Bundesnachrichtendienstes einschließlich seiner Zusammenarbeit mit ausländischen Nachrichtendiensten generell von dem verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruch der Presse ausgenommen sind, kommt es auf eine Abwägung bezogen auf die konkret begehrten Informationen nicht an. Der Bundesnachrichtendienst hat die begehrte Auskunft vielmehr zutreffend allein mit der Begründung versagt, er äußere sich zu operativen Aspekten seiner Arbeit nur gegenüber der Bundesregierung und den geheim tagenden Gremien des Deutschen Bundestages.
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2. Art. 10 Abs. 1 Satz 2 EMRK vermittelt der Antragstellerin ebenfalls keinen Anspruch auf die gewünschten Informationen. Diese Vorschrift untersagt einem Konventionsstaat, eine Person am Empfang von Informationen Dritter zu hindern.
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Es kann offenbleiben, ob Art. 10 Abs. 1 EMRK nach der neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ein allgemeines - und nicht nur auf besonders gelagerte Fallgruppen beschränktes - Recht der Presse auf Zugang zu Verwaltungsinformationen begründet (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 - 6 A 2.12 - BVerwGE 146, 56 Rn. 33). Jedenfalls fände ein solches Recht seine Schranken in Bestimmungen der nationalen Sicherheit und Bestimmungen zur Verhinderung der Verbreitung vertraulicher Informationen (vgl. Art. 10 Abs. 2 EMRK). Solche Bestimmungen müssen, um das durch Art. 10 Abs. 1 EMRK gewährleistete Recht in konventionskonformer Weise beschränken zu können, legitim und in einer demokratischen Gesellschaft erforderlich sein (vgl. EGMR, Urteil vom 14. April 2009 - Rechtssache 37374/05 - Ziff. 33 ff.). Diese Voraussetzungen sind in Bezug auf operative Vorgänge im Bereich des Bundesnachrichtendienstes erfüllt. Dass aus Art. 10 EMRK insoweit ein Erfordernis einzelfallbezogener Abwägung abzuleiten wäre und der deutsche Gesetzgeber konventionswidrig handelte, wenn er eine generelle Ausnahme für den angesprochenen Funktionsbereich in ein Presseauskunftsgesetz übernähme, ist nicht ersichtlich.
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3. Danach ist der geltend gemachte Anordnungsanspruch aus Rechtsgründen ausgeschlossen, welche der Senat schon im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes abschließend beurteilen kann. Es kommt daher nicht mehr darauf an, ob es - wie die Antragsgegnerin meint - auch an einem Anordnungsgrund fehlt.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG.